Vita

Christoph Rüter

*01.01.1957 in Gelsenkirchen
1976 Abitur in Münster (Westf.), Studium der Theaterwissenschaft, Philosophie und Psychologie in München und Berlin, 1985–89 Dramaturg an der Freien Volksbühne West-Berlin, Zusammenarbeit mit Thomas Brasch, Hans Neuenfels, Heiner Müller, Bob Wilson, u. v. a. 


 

"Als ich im Oktober 1989 zu einer Probe von Heiner Müllers Inszenierung „Hamlet/Maschine“ („Hamlet“ und „Hamletmaschine“) ans Deutsche Theater nach Ostberlin geladen wurde, veränderte sich mein Leben. 

 

Der Text von Shakespeare in der Übersetzung von Müller bekam in den Tagen der ersten friedlichen deutschen Revolution von unten, wie Müller das nannte, eine ungeheure Brisanz und war aktuell wie selten. Was hier stattfand, war »der Einbruch der Zeit in das Spiel« (Carl Schmitt), und instinktiv sagte ich mir: Kamera her! 

 

Aus meinem Wunsch wurde Wirklichkeit und es entstand der Film „Die Zeit ist aus den Fugen“ (100 Min.), mit dem ich weltweit gastierte. 

 

Der Film beschreibt, wie das Stück von Shakespeare im Spiegel der Ereignisse plötzlich eine ungeahnte Schärfe und Aktualität erhielt, in der sich das ganze Dilemma der DDR-Gesellschaft zwischen Ohnmacht, Anpassung und Widerstand problematisierte, so dass die Begriffe »Sein« und »Schein« jeweils in ihr Gegenteil verkehrt wurden: Auf der einen Seite die Wirklichkeit eines zusammenbrechenden Staates, der quasi jeden Tag auf einem anderen historischen Boden steht und mit großer Geschwindigkeit alle Phasen einer klassischen Revolution durchläuft, die an ein Laborexperiment im Zeitraffer erinnert; auf der anderen Seite ein Theater, das versucht, die Geschichte von Hamlet zu erzählen, der zugrunde geht an der Differenz zwischen Erkennen und Handeln. Hamlet als Versager, als die Inkarnation des von Selbstkritik zerfressenen Intellektuellen, der keinen Partner hat und der sich aufreibt in seinen Monologen.

Müller zitierte gerne Johannes R. Becher mit seinem Satz: „Talent heißt, in gesellschaftlich aufschlußreiche Situationen zu geraten.“ Das Talent hatte ich damals." 

 
„Noch als die DDR von ihren greisen Führern im stalinistischen Winterschlaf gehalten wurde, noch unter Honecker, Mielke, Stoph und Hager, lief das Unternehmen „Hamlet“ vom Stapel. Und die Inszenierung zeigt die Spuren ihrer Entstehung. Sie beginnt im ewigen Eis. Und wenn am Ende, nach einem achtstündigen Theater-Marathon, die Bühne in glühender Sonne verbrennt und Ophelia in Flammen aufgeht, wenn die politische Beschleunigung zur Weißglut geführt und der Sturz der Epoche die Erde zu roter Asche versengt hat und als Hitzeflimmern über Helsingör liegt, dann fällt es schwer, diese Aufführung nicht als Zeitkommentar zu erleben. (...) 

Diesen Blick wirft Heiner Müller auf den Hamlet, auf die Geschichte. Es ist nicht der Blick des Politikers, sondern der eines Biologen: Ein Blick auf diese merkwürdige, blutige Menschenrasse, und er wird aus dem nahen nächsten Jahrtausend hergeworfen, aus der Epoche der Klimakrisen, der großen planetarischen Katastrophen."

Der Spiegel, 13/1990

 
„Wäre Heiner Müllers „Hamlet“ eine Inszenierung, dann wäre Ulrich Mühes Hamlet der Hamlet unserer Epoche. Dunkel überglänzt er den fahlen Zerfall um sich herum. Seine Einsamkeit wirkt grenzenlos, unbeschreiblich - die Verlorenheit des denkenden Menschen in einer dumpfdämmernden Welt." (...)

Die Zeit, 03/1990

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An dieser Stelle beschränke ich mich auf meine Arbeiten als Filmemacher.